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Zur aktuellen Situation und dem Weg der Kriegsflüchtlinge
Demonstration am 8. Juni
Ungefähr 1500 Menschen demonstrierten am Sonnabend in Hamburg für die Rechte der libyschen Kriegsflüchtlinge. „Unsere Situation ist eine besondere. Wir haben in Libyen Menschenrechtsverletzungen und Massaker gesehen und waren auch Opfer davon. In italienischen Camps und Einrichtungen wurden wir menschenunwürdig behandelt, erniedrigt und erneut traumatisiert,“ erklärte Asuquo Udo, einer der Sprecher der 300 Flüchtlinge, die seit Mitte April auf Hamburgs Straßen leben. „Ca. 60000 Menschen aus Libyen sind vor dem Krieg nach Europa geflohen. Seitdem leben wir über ganz Europa verteilt. Ca. 6000 von uns leben in Deutschland.“ SprecherInnen mehrerer Migrantischer Communities erklärten ihre Solidarität und kritisierten die jahrhundertelang in Afrika, Südamerika und dem Mittleren Osten praktizierte Kolonialpolitik sowie deren Auswirkungen.
Die Situation vor dem Krieg in Libyen
Die Kriegsflüchtlinge waren zuvor überwiegend aus Westafrika als politische Flüchtlinge oder aufgrund den destabilen Situationen in ihrer jeweiligen Heimat nach Libyen geflohen und nach Ausbruch des Krieges aufgrund von Massakern gegen Schwarzafrikaner gezwungen das Land zu verlassen. In Libyen hatten sie feste Arbeit und eine soziale Absicherung. Viele versorgten Familien und/oder Gemeinden in ihren ursprünglichen Heimatländern. Gesundheitsversorgung und soziale Sicherung waren eine Selbstverständlichkeit. Einige der 300 seit April 2013 in Hamburg auf der Straße lebenden Flüchtlinge, hatten in Libyen Betriebe mit mehreren Angestellten aufgebaut. „Wir konnten nach Ausbruch des Krieges in Libyen unsere Wohnungen nicht verlassen, weil wir sonst verschleppt oder ermordet worden wären,“ erzählen Flüchtlinge. „Sie brachten uns in die Wüste und feuerten Schüsse neben uns ab. Dann wurden wir zusammengeschlagen und ausgesetzt.“ Die einzige Möglichkeit zu Überleben war die Flucht über das Mittelmeer. Zum Teil wurden die Flüchtlinge auch mit Gewalt genötigt in völlig überfüllte Boote zu steigen. Mehrere Tausend Menschen ertranken im Mittelmeer oder wurden auf den Booten erdrückt.
Die Situation in Italien
Ein Camp auf der italienischen Insel Lampedusa, das als Erstaufnahme diente, war kontinuierlich mehrfach überbelegt. Mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln, unzureichende oder vollkommen verweigerte medizinische Hilfe, katastrophale hygienische Bedingungen und ignorantes Vorgehen der italienischen Behörden bestimmten den Alltag, wie auch das Leben in den über ganz Italien verteilten weiteren Flüchtlingseinrichtungen. Nach Auslaufen eines entsprechenden EU-Hilfsfonds Ende 2012, verdeutlichten die italienischen Behörden, dass die Flüchtlinge in Italien keine Perspektive hätten und nötigten sie unter Androhung von Gewalt oder auch Haft das Land in Richtung zu verlassen.
Seit 2010 entschieden 200 bundesdeutsche Verwaltungsgerichte, dass eine Rückführung von Flüchtlingen nach Italien rechtswidrig ist. „Die Lebensbedingungen für Schutzbedürftige lassen befürchten, dass die Menschen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren“, heißt es in Urteilen.
Der Hamburger Senat verweigert den 300 Flüchtlingen immer noch jede ernstgemeinte Unterstützung. Bürgermeister Olaf Scholz behauptet, dass rechtlich keine andere Möglichkeit als die Abschiebung bestünde. Ein Redner des Solidaritätskomitees für die Flüchtlinge stellte auf der Demonstration klar: „Es gibt auf regionaler-, bundes- und europäischer Ebene rechtliche Wege, den Kriegsflüchtlingen einen dauerhaften Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis zu erteilen. Jeder Mensch hat die gleichen grundlegenden Bedürfnisse nach Geborgenheit, sozialem Leben, Bildung, Arbeit, einem Dach über dem Kopf, medizinischer Versorgung und respektvollem Miteinander. Wer Menschen diese Bedürfnisse verweigert, wird nicht mit gutem Gewissen schlafen können.“ „Wenn sie mich nach Italien zurückschicken, werde ich versuchen mich umzubringen. Ich kann nachdem was passiert ist, nicht dahin zurück,“ sagt einer der Flüchtlinge im Gespräch.
Cornelia Kehrt, Sprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN/BDA kritisierte auf der Demonstration, dass „Politische Vereinbarungen wie die von Schengen und Dublin und ihre Institutionalisierung in der Grenzsicherungsagentur „Frontex“ dafür sorgen sollen, dass alle, die nicht im Mittelmeer ertrinken, in Griechenland oder Italien unter erbärmlichen Umständen umherirren und auf keinen Fall dort ankommen, wo sich der europäische Reichtum konzentriert.“ „Alles, was wir in Libyen für uns aufbauen konnten, haben wir verloren. Im Namen von Demokratie und Menschenrechten haben die NATO-Staaten Libyen in Brand gesetzt. Die Folgen des Krieges wirken weit über die Grenzen Libyens hinaus. Wir, Flüchtlinge aus Libyen in Europa, sind die Zeugen dieses Verbrechens,“ hieß es im Aufruf zur Demonstration.
Unterkunft in der Kirche
Die St. Pauli Kirche bot den Flüchtlingen auf Nachfrage am 2. Juni den Innenraum der Kirche zum Übernachten an. Ungefähr 80 Menschen leben mittlerweile dort. Im Garten der Kirche wurden Pavaillons, Zelte und Duschen aufgestellt. „Es handelt sich um humanitäre Hilfe“, erklärt Pastor Sieghard Wilm dazu, „die Flüchtlinge sind Gejagte. Sie sollen hier zur Ruhe kommen können.“ Im Gespräch erklärt Pastor Wilm, dass die Kirche auch historisch gesehen ein Ort der Zuflucht und humanitärer Hilfe für Schutzbedürftige sowie des Schutzes vor Unrecht ist.
Jeden Tag besuchen viele Menschen die Flüchtlinge im Kirchgarten, verbringen Zeit und suchen das Gespräch, bieten Hilfe an und spenden Kleidung, Lebensmittel und Hygieneartikel. Eine Schulklasse aus der nahe gelegenen Schule kommt ebenfalls regelmäßig zu Besuch. Der FC St. Pauli brachte Trikots, Trainings- und Winterjacken und stellt unbefristet Trinkwasser des Projektes „Viva Qon Aqua“ zur Verfügung. Am Sonntag fand in der Kirche ein gut besuchtes Benefizkonzert statt. Bereits am Sonnabend veranstaltete das Stadtteilzentrum GWA St. Pauli nach einem gut besuchten Solidaritätsfest im Karoviertel ein spontanes Open Air.
Seit mehreren Wochen hat ein breit aufgestelltes Bündnis, das von antirassistischen, linken, kirchlichen und weiteren Gruppen sowie engagierten Einzelpersonen getragen wird, die Kriegsflüchtlinge beim Überleben unterstützt und humanitäre Hilfe geleistet. Diese Hilfe wird auch weiterhin fortgesetzt.
Politischer Anlaufpunkt ist weiterhin die Dauermahnwache am Hauptbahnhof/Steindamm. Das Unterschreiben der Petition, sich Informieren und solidarische Gespräche zu führen findet also weiterhin dort statt.
Demonstration 08.06.2013 – kommt mit uns, den Kriegsflüchtlingen „Lampedusa in Hamburg“ auf die Straße:
DEMONSTRATION | 08.06.2013 | 12Uhr | HH-Hauptbahnhof/Hachmannplatz
Die Demonstration findet rund um den HBF/St.Georg statt.
Nach der Demonstration findet ein Solidaritätsfest zur Unterstützung der Kriegsflüchtlinge statt.
Aufruf der Kriegsflüchtlinge zur Demonstration:
Ein afrikanisches Sprichwort sagt:
„Eine Ziege, die schon tot ist, fürchtet kein Messer mehr.“
An die Gemeinschaften der Migranten und Migrantinnen in Hamburg
An alle Menschen in dieser Stadt, die ihre Herzen und Seelen nicht verkauft haben.
Wir rufen Euch alle auf die Straße, um ein Zeichen der Solidarität und des gemeinsamen Kampfes für unsere Rechte als Menschen zu setzen.
Wir sind Überlebende des NATO-Kriegs in Libyen. Alles, was wir in Libyen für uns aufbauen konnten, haben wir verloren. Im Namen von Demokratie und Menschenrechten haben die NATO-Staaten Libyen in Brand gesetzt. Die Folgen des Kriegs wirken weit über die Grenzen Libyens hinaus. Wir, Flüchtlinge aus Libyen in Europa, sind die Zeugen dieses Verbrechens. Wir sind gegen unseren Willen und wegen der Intervention des Westens nach Europa gekommen. Es gibt kein Zurück mehr für uns.
Wir haben viel Schreckliches gesehen und viele Hindernisse überwunden. Jetzt leben wir als unerwünschte Immigranten auf den Straßen, der Länder, die von humanitärem Schutz sprechen, aber ihn nicht umsetzen wollen. Wieder müssen wir ums Überleben kämpfen, während bereits neue Kriege im Namen von Demokratie und Menschenrechten begonnen werden.
Die Opfer sind die Menschen, die angeblich geschützt werden sollen. Flüchtling zu sein ist nicht kriminell. Kriminell ist, Flüchtlinge zu erzeugen.
An alle unsere Brüder und Schwestern, die aufgrund der Interessen der mächtigen Staaten ebenfalls Flüchtlinge geworden sind,
…an alle unsere Brüder und Schwestern, die wegen der Farbe ihrer Haut, diskriminiert und erniedrigt werden,
…an alle unsere Brüder und Schwestern, die schon lange vor uns in dieses Land und auf diesen Kontinent gekommen und den Schmerz der Ablehnung kennen gelernt haben,
…an unsere jungen Brüder und Schwestern, die hier in diesem Land geboren sind, und dennoch als „Ausländer“ gesehen und behandelt werden,
…an alle Menschen, die Frieden und Gerechtigkeit als Einheit sehen und dafür einstehen wollen,
kommt mit uns, den Flüchtlingen des NATO-Kriegs in Libyen „Lampedusa-Flüchtlinge in Hamburg“ auf die Straße.
Es ist die Schuld der NATO und der Europäischen Union, dass wir hier sind.
Wir sind Menschen und haben Rechte. Wenn die Gesetze gegen uns sind, müssen sie abgeschafft oder geändert werden. Der Mensch macht das Gesetz, nicht das Gesetz den Mensch.
Demonstration am Samstag, 08. Juni 2013, 12Uhr HH-Hbf Hachmannplatz
03.06. Kurzes Statement zur aktuellen Situation
Seit gestern Abend haben die Kriegsflüchtlinge aus Libyen die Möglichkeit in einer Kirche auf St.Pauli die Nacht zu verbringen. Dort werden in den kommenden Tagen von Hilfsorganisationen Zelte und Sanitäre Anlagen aufgebaut. Unabhängige Unterstützer_innen organisieren weiterhin das Essen und weitere konkrete Unterstützung.
Die Kirche auf St.Pauli dient nun als Schutz in der Nacht. Politischer Anlaufpunkt ist weiterhin die Dauermahnwache am Hauptbahnhof/Steindamm. Das Unterschreiben der Petition, sich Informieren und solidarische Gespräche zu führen findet also weiterhin dort statt.
Eine längeres Statement und eine politische Analyse der derzeitigen Situation folgt.
01.06. Pressemitteilung
Die Pressemitteilung als PDF downloaden
Hamburg, 01.06.2013
Pressemitteilung von www.lampedusa-in-hamburg.org
Geflüchtete und Unterstützer_innen demonstrierten am Abend des 31.05. bei einer SPD-Wahlkampfveranstaltung mit Olaf Scholz in HH-Barmbek.
Über 250 Menschen beteiligten sich am Abend an einer Protestkundgebung anlässlich einer SPD-Wahlkampfveranstaltung mit Olaf Scholz vor dem Museum der Arbeit. Mehr als 100 der seit Wochen auf Hamburgs Straßen lebenden Kriegsflüchlinge machten ihre Forderungen erneut klar deutlich:
- Wohnung
- freier Zugang zum Arbeitsmarkt
- freier Zugang zu Bildung
- freier Zugang zu medizinischer und sozialer Versorgung
- freie Wahl des Aufenthaltsortes bzw. Wohnortes innerhalb der EU
Eine Delegation der Geflüchteten betrat schliesslich die SPD – Veranstaltung und suchte erneut das Gespräch mit Bürgermeister Olaf Scholz. Asuquo Udo, ein Sprecher der Geflüchteten erklärte dem Bürgermeister: „Wir befinden uns auf der Schwelle zwischen Leben und Tod. Als Kriegsflüchtlinge haben wir in Italien einen humanitären Status bekommen, der uns berechtigt in der EU zu leben. Nun wird offenbar beabsichtigt uns möglichst schnell wieder nach Italien abzuschieben“. Sich hin und her schieben zu lassen sei jedoch keine Lebensperspektive.
Nach drei Minuten wurde die Beschreibung der Situation der Kriegsflüchtlinge mitten im Beitrag unterbrochen, da die Redezeit beendet sei. Gästen das Mikrofon zu entziehen, ohne sie ausreden zu lassen, ist in Anbetracht der Situation von Kriegsopfern unangemessen und zynisch. Scholz erklärte jenseits der Fakten, dass die Stadt die Flüchtlinge mit dem Nötigsten versorgen würde.
In der Realität sieht es aber so aus, dass die derzeitige Unterstützung der Geflüchteten aus der Basis der Hamburger Bevölkerung organisiert wird und nicht durch die Stadt oder größere Hilfsorganisationen. Vor allem Jugendliche versuchen das Nötigste zu ermöglichen: dauerhafte Verpflegung und den Kontakt zu medizinischer Versorgung. Scholz erklärte erneut, dass die Stadt sich formell um eine Unterkunft bemühe. Diese solle jedoch nur temporär sein und lediglich zur Vorbereitung der Abschiebungen nach Italien dienen.
Nach dem Gespräch machten die Geflüchteten in Redebeiträgen deutlich, dass sie in Hamburg dauerhaft bleiben werden und nicht vorhaben nach Italien zurückzukehren:
„Die Bedingungen dort waren nicht lebenswert. Zuerst das Leben in oder vor völlig überfüllten Camps, zu wenig Essen, dann Obdachlosigkeit und Übergriffe in den Städten, keine Chance auf Bildung, keine Chance auf Arbeit. Derartiges haben alle von uns erlebt.“
Kontakt:
In Vertretung der Gruppe der Flüchtlinge aus Libyen:
Affo Tchassei: 0176-717 402 36
Anane Kofi Mark: 0152-170 045 94
Asuquo Udo: 0152 146 725 37
Mail: lampedusa-in-hamburg@riseup.net – Web: http://www.lampedusa-in-hamburg.org/
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