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Kurzes Statement der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ zur Situation an der St. Pauli Kirche
Es gibt derzeit viele falsche Informationen über die in der St. Pauli Kirche untergebrachten Mitglieder der Gruppe “Lampedusa in Hamburg”. Es stimmt nicht, dass alle dort schlafenden Menschen sich entschieden haben, das Angebot des Senats anzunehmen. Der Gruppe “Lampedusa in Hamburg” liegt die Information vor, dass weit weniger als ein Drittel der Geflüchteten in der Kirche die Bereitschaft signalisiert haben, etwaig eine Duldung zu akzeptieren.
Die Gruppe hat sich definitiv nicht gespalten. Die Gruppenstrukturen funktionieren auch weiterhin, obwohl auf die Gruppe ein starker Druck ausgeübt wird. Dazu Asuquo Udo, einer der Sprecher der Gruppe “Lampedusa in Hamburg”:
Wir befinden uns zwei Jahre nachdem der Krieg in Libyen unsere Leben zerstörte immer noch auf der Flucht. Uns wird jede Möglichkeit wieder ein normales Leben zu führen verweigert. In einer so traumatischen Situation muss jeder Einzelne Entscheidungen für seine eigene Zukunft treffen. Nach ausgiebiger Diskussion sehen wir in dem Angebot des Senats jedoch viele versteckte Gefahren, die einen weiteren Dialog mit dem Senat notwendig machen. Der Kampf der Gruppe wird weitergehen, wir stehen zusammen und fordern gemeinsam unsere Rechte ein.
Antwort an den Hamburger Senat und Vorschlag zur Lösung im Sinne von Menschenwürde und Menschenrecht
Wir, die Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“, wollen erneut versuchen, Transparenz in die festgefahrene und eskalierte Situation bezüglich der Zukunft unserer Leben zu bringen.
Zunächst wollen wir daran erinnern, warum wir hier sind. Dies wird mittlerweile oft in den Berichten der Presse und in den Äußerungen der Politiker unterschlagen. Genau daraus leitet sich jedoch unsere Präsenz in Hamburg und unsere Forderung nach unserer Anerkennung ab.
Wir sind alle aus verschiedenen Ländern, zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen existenziellen Gründen nach Libyen gegangen. Von dem Punkt an finden sich unsere Geschichten und unsere Schicksale zusammen. Wir haben in Libyen gelebt und gearbeitet – auch noch als bereits Kämpfe zwischen Rebellengruppen und Regierungskräften ausgebrochen waren. Mit dem Eintritt der NATO in den Konflikt eskalierte der Krieg im ganzen Land. Unter Verlust von allem, was wir besaßen, den Tod ständig an unserer Seite, erreichten wir Lampedusa.
Wir wurden in verschiedene Regionen in Italien verteilt, untergebracht und minimal versorgt im Rahmen des EU-Programms „Notstand Nordafrika“ (emergenza nordafrica)Wir durchliefen den Prozess der Einzelverfahren und erhielten Aufenthalt und italienische Dokumente, die unseren Schutzstatus garantieren. Aber kurz danach wurde das Notprogramm beendet. Die italienischen Behörden setzten uns im Winter 2012 auf die Straße, erklärten, dass es keine Lebensperspektive dort für uns mehr gäbe. Sie forderten uns auf, in andere Länder der EU zu gehen. Dies ist kurz gefasst der Hintergrund vor dem wir zum Opfer und zum Spielball der europäischen Politik wurden. So kamen wir nach Hamburg, wie andere von uns in andere europäische Länder und Städte kamen.
Wir erhielten von Italien den Rechtsstatus unser Leben neu aufzubauen und die erlittenen Verluste zu überwinden. Jedoch findet bis heute keine praktische Umsetzung statt. Eine gemeinsame Verantwortung sowie bei der Entscheidung zum Eintritt in den Krieg in Libyen wird von den europäischen Regierungen für uns, die Zivilisten, die geschützt werden sollten, verweigert.
Es geht aber um unsere Existenz und die unserer Familien und Angehörigen, die wir bis zum Kriegsausbruch gut und ausreichend versorgen konnten. Es ist für uns kein Machtspiel, sondern es gibt keine andere Möglichkeit für uns, als für die Anerkennung unserer Rechte zu kämpfen.
Diese Auseinandersetzung findet jetzt in Hamburg seit über sechs Monaten statt und sehr viele Menschen unterstützen und bestätigen uns in unserem Anliegen zur Lösung unserer existenziellen Not. Mittlerweile, insbesondere durch die vom Senat initiierte Polizeioperation gegen uns, ist eine Eskalation entstanden, die wir konstruktiv lösen möchten. Wir denken, wir können einen für alle Seiten akzeptablen Weg darlegen.
Vorschlag des Senats
Wir begrüßen es, dass der Senat nach einem halben Jahr der Verweigerung eines direkten Dialogs auf uns zugeht und sehen das als einen möglichen Anfang für eine Lösung. In der jetzigen Form bietet der Vorschlag jedoch keine rechtliche Sicherheit für uns. Um den Vorschlag genau zu verstehen skizzieren und analysieren wir im Folgenden einige Aspekte:
Der Senat bleibt – dies wurde in nachfolgenden Gesprächen zwischen Vertretern der Behörde und des Senats mit unseren Rechtsanwältinnen bestätigt – bei seiner Position, dass die von uns vorgetragenen humanitären Gründe, insbesondere die katastrophale Situation für Flüchtlinge in Italien, nicht zu einer positiven Entscheidung über die Anträge führen werden. Das bedeutet, dass nach wie vor kein politischer Wille besteht, Verantwortung für eine praktische Umsetzung unserer Rechte, zu übernehmen.
Stattdessen soll die Entscheidung im Einzelfall in jahrelangen Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang getroffen werden.
Sämtliche Mitglieder der Gruppe sollen einzeln einen Antrag auf Aufenthaltserteilung stellen und dann eine Duldung erhalten. Es wird ein Sonderschalter bei der Ausländerbehörde eingerichtet und ein Ombudsmann zur Begleitung des Procedere eingesetzt. Zusätzlich wurde gesagt, dass wir während des laufenden Verfahrens vor Abschiebung geschützt seien.
Die Duldung ist keine Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich eine Bestätigung über die Aussetzung der Abschiebung. Sie wird in der Regel für beliebige Zeiträume erteilt und kann jederzeit widerrufen werden.
Zwar wurde in unserem Fall zugesagt, dass die Duldung für die Dauer des gesamten Verfahrens Bestand haben soll. In Gesprächen mit Vertreter/innen der Ausländerbehörde und den uns vertretenden Rechtsanwältinnen wurde aber deutlich, dass die Hamburger Behörden keine Rechtsverbindlichkeit bezüglich des zugesagten Abschiebeschutz garantieren kann.
Die Erteilung einer Duldung bedeutet zudem, dass wir unsere italienischen Dokumente, die die Anerkennung unserer Rechte als Flüchtlinge garantieren, abgeben müssten, dass unsere Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird und dass wir frühestens in einem Jahr eine Arbeitserlaubnis erhalten könnten.
Wir begeben uns in ein langwieriges Verfahren, verlieren unseren durch Italien anerkannten Status und leben für weitere Jahre in Ungewissheit über unser Schicksal.
Dies ist kein Vorschlag, der als fair bezeichnet werden kann. Es ist vielmehr eine Bedrohung für unser Leben. Dazu gehört auch die Drohung mit Fortsetzung der Polizeikontrollen gegen uns, um unsere Zustimmung zu erzwingen.
Ein konstruktives Herangehen, würde bedeuten zu akzeptieren, dass uns in Italien kein angemessener Flüchtlingsschutz garantiert wird, was eine Folge des Versagens des Dublin II-Systems ist, und dieses Versagen nicht auf dem Rücken der hier in Hamburg unmittelbar Betroffenen auszutragen, sondern Verantwortung dafür zu übernehmen und ernsthaft die Möglichkeiten der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu prüfen.
Wir haben immer gesagt, dass wir nicht hier wären, wenn wir in Italien die Chance gehabt hätten, menschenwürdig zu leben und unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu möchten wir auch anmerken, dass wir in der kurzen Zeit, die wir in Hamburg sind, uns mehr integrieren konnten, als es in Italien in fast zwei Jahren möglich war.
Zu unserer Lage und der allgemeinen Diskussion um die europäische Flüchtlingspolitik
Angesichts der intensiven Auseinandersetzung in der Gesellschaft und den politischen Gremien über einen notwendigen Wandel in der europäischen Flüchtlingspolitik könnte Hamburg ein positives Signal aussenden, was nicht nur aus allgemeinen Absichtserklärungen besteht. Auch in den laufenden Koalitionsverhandlungen zur neuen Regierungsbildung in Berlin könnten sich die teilnehmenden Hamburger Politiker hinsichtlich dieses Themas einbringen.
Wir wundern uns, dass uns immer wieder bei Treffen mit Politikern und Parteienvertretern wie zuletzt auch von Mitgliedern der Hamburger SPD Fraktion gesagt wird, dass es dringend Veränderungen in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik braucht und wie wichtig die Arbeit unserer Gruppe ist, und dennoch werden wir weiterhin abgelehnt.
Hinsichtlich der großen Solidarität in aller Vielfältigkeit, dem wachsenden Bewusstsein über die Ursachen, warum wir unseren Kontinent verlassen mussten – von Libyen via Lampedusa, Italien nach Hamburg – und des Respekts gegenüber unserem öffentlichen Widerstand zur Verteidigung unserer Leben, denken wir: es ist an der Zeit, einen konkreten Prozess zur Umsetzung unseres Aufenthaltsrechts zu beginnen. Viele Organisationen, Professionelle, Institutionen und zehntausende weitere Menschen in Hamburg und darüber hinaus, unterstützen unsere Forderung nach Anerkennung gemäß §23. Sozial, politisch und kulturell engagierte Gruppen und Einzelpersonen beherbergen und versorgen uns seit Monaten mit dem Nötigsten.
Unser Vorschlag zur politischen Lösung der eskalierten Situation und unserer desaströsen Lage
Wir wollen hier einen Vorschlag vorstellen, der der Gesprächsbereitschaft des Senats entgegenkommt und praktisch umsetzbar ist:
Wir möchten daran erinnern, dass wir der festen Überzeugung sind, dass Gesetze für Menschen gemacht werden und nicht umgekehrt. Das bestehende europäische System zur Aufnahme von Flüchtlingen verletzt die Menschenrechte, wir als Leidtragende können das bezeugen. An dieser Stelle reicht es nicht aus, wenn nur von Rechtsstaatlichkeit gesprochen wird, die Gesetze jedoch stets zu unseren Ungunsten interpretiert werden. Der § 23 Aufenthaltsgesetz bietet zum Beispiel eine Lösung für unsere existenzielle Not.
Warum sollen wir in Einzelverfahren gezwungen werden? Das nimmt viel Zeit in Anspruch und verursacht hohe Kosten
Seit dem Krieg und der NATO Intervention in Libyen im Frühjahr 2011 sind wir nicht mehr zur Ruhe gekommen. Wir wollen nicht noch mehr Zeit verlieren, bis wir unser Leben neu anfangen können. Wir sind anerkannte und mit italienischen – also europäischen – Dokumenten ausgestattete Flüchtlinge. Wir haben den gesamten Prozess schon durchlaufen.
Warum sollen viele Einzelverfahren durchgeführt werden, wenn wir alle den gleichen Hintergrund und die gleiche Fluchtgeschichte – ausgehend vom Krieg in Libyen, wo wir Zivilisten und Arbeiter waren.
Warum sollen viele Steuergelder für hunderte Einzelverfahren ausgegeben werden?
Genau um dies zu vermeiden, ist vom Gesetzgeber, so verstehen wir die deutsche Gesetzeslogik, der §23 Aufenthaltsrecht geschaffen worden.
Er ermöglicht die Aufenthaltsgewährung für eine spezifische Gruppe, die bestimmte Kriterien erfüllt, wodurch einerseits Rechtssicherheit geschaffen und gleichzeitig zeitaufwändige und kostspielige Einzelverfahren vermieden werden. Wird eine Anordnung nach § 23 AufenthG erlassen, könnte jeder einzelne auf Grundlage dieser Anordnung eine Aufenthaltserlaubnis beantragen und nachweisen, ob er die Kriterien erfüllt. Wir sind bereit, als Grundlage für weitere Gespräche einen von unseren Rechtsanwält/innen ausgearbeiteten Entwurf für eine solche Anordnung vorzulegen und zur Diskussion zu stellen.
Was wir brauchen ist eine Rechtssicherheit, die uns die Möglichkeit gibt, unser Leben neu zu beginnen und die gravierenden Verluste, die wir seit dem Krieg in Libyen erlitten haben, zu überwinden.
Eine Möglichkeit dazu wäre unter Anerkennung des bereits in Italien erteilten Flüchtlingsschutz die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für mindestens ein Jahr. Hätten wir eine Arbeitserlaubnis in Hamburg, würden viele von uns bereits arbeiten und Steuern einbringen. Niemand von uns hat das Interesse, von staatlichen Geldern abhängig zu sein und wir können uns auch vorstellen, bei Anwendung des § 23 auf Sozialleistungen zu verzichten. In diesem Fall wäre es vorstellbar und möglich, dass aus dem Kreis der breiten Solidaritäts- und Unterstützungsbewegung die rechtlich vorgeschriebene Verpflichtungserklärung dazu abgeben würde.
Sechs Monate haben uns die Hände und Herzen der Menschen gestützt mit der Hoffnung und dem Wunsch, dass wir bleiben, hier leben können. Besonders in St. Pauli aber auch an anderen Orten der Stadt haben wir und die Nachbarschaften uns schon gegenseitig integriert. Eine vereinfachtes Verfahren und eine Arbeitserlaubnis würden uns und allen Menschen, die uns tagtäglich und unermüdlich unterstützen, entgegenkommen und dies entspräche auch den europäischen Menschenrechtskonventionen.
Bildung einer Kommission zur konkreten Ausarbeitung und Umsetzung einer praktikablen Lösung
Da jedoch bisher dieser unserer Auffassung nach beste Lösungsansatz so vehement abgelehnt wird und mittlerweile eine starke Polarisierung zwischen dem Senat und breiten Teilen der Zivilgesellschaft entstanden ist, schlagen wir die Bildung einer Kommission vor. Eine solche Kommission, in der auch die Seite der zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, die uns seit sechs Monaten in unserer Notlage helfen, einbezogen wäre könnte die konkrete Ausarbeitung des weiteren Vorgehens realisieren.
Zu den Polizeikontrollen gegen uns und die Forderung nach Angabe unsere Identitäten gegenüber der Behörde
Zu dem unhaltbaren Vorwurf des Senats wir würden unsere Identitäten verstecken, haben wir uns bereits in unserem Offenen Brief vom 16.10.2013 an den Senat geäußert:
- Wir sind Inhaber gültiger Ausweisdokumente – was auch die gesamte Polizeioperation rechtlich in Frage stellt.
- Wir verdecken nicht unsere Identität, wir sind eine der präsentesten und öffentlichsten Gruppen von Menschen in dieser Stadt.
- Wir stellen keine Asylanträge, weil wir das Procedere bereits in Italien durchlaufen haben. Weshalb ein erneutes Verfahren nicht nur unnötig ist, es macht auch rechtlich keinen Sinn.
Auch wenn es aus unserer Sicht unabdingbar ist, in der inhaltlichen Diskussion weiterzukommen, bevor wir eine Liste unserer Namen einreichen – die bisherige Intention des Senats verstehen wir lediglich als Perspektive zur Abschiebung – wollen wir auch zu diesem Punkt einen Vorschlag unterbreiten. Wir werden unsere Dokumente und Ausweispapiere im Rahmen der Arbeit der von uns vorgeschlagenen Kommission vorlegen. Uns ist bewusst, dass dieser Schritt uns in größere Gefahr einer Abschiebung nach Italien bringt. Jedoch wollen wir die durch die Polizeikontrollen der vergangenen Wochen eskalierte und festgefahrene Situation entschärfen und stehen weiter für einen konstruktiven Prozess ein. Wir stellen aber keine Anträge gemäß des Vorschlags des Senats und wir lassen auch nicht unsere gültigen Dokumente einziehen, aus oben hinreichend erklärten Gründen.
Während einige von uns unter dem übermächtigen Druck und Drohungen langsam zerbrechen, werden wir weiter für unsere Rechte als Gruppe kämpfen – zusammen mit den vielen Menschen, die genug haben von den leeren Worten, der geheuchelten Trauer und der gespielten Humanität. Trotz einer drohenden erneuten Vertreibung wiederholen wir „We are here to stay“ als Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“. Jeder von uns sehnt sich nach Ruhe, nach einer Normalisierung, nach etwas Stabilität aber wir stützen uns gegenseitig und mit großer Herzlichkeit und Aufrichtigkeit aus der Hamburger Bevölkerung wie der Ruf auf St.Pauli „u never walk alone“.
Hamburg, 28.10.2013
Kontakt:
Der Senat kann über die obengenannten Telefonnummern unserer Sprecher den direkten Kontakt mit uns aufnehmen. Schriftstücke können an das Rechtsanwaltsbüro Kanzlei 49 gesandt werden: Budapester Str. 49, 20359 Hamburg, Tel 040-4396001, Fax: 040-4393183
Bundesweite Demonstration – Wir brauchen Eure Unterstützung!
Für den 2.11. ruft „Lampedusa in Hamburg“ zu einer bundesweiten Demonstration auf. Damit wir an diesem Tag ein starkes Zeichen setzen können, brauchen wir Eure Unterstützung. Das könnt ihr tun:
- Verschickt den Aufruf zur Demonstration per Mail, facebook und twitter.
- Unterstützt den Aufruf mit dem guten Namen eurer Gruppe/Initiative/Organisation.
Alle Gruppen und Organisationen die den Aufruf unterzeichnen möchten, schicken bitte eine Mail mit dem Namen ihrer Organisation, ihrer Stadt und dem Betreff „Unterschreiben“ an: lampedusa-in-hamburg@riseup.net
- Holt euch Plakate, Flyer, Aufkleber und Buttons vom Infozelt am Steindamm oder der St. Pauli-Kirche und verteilt sie in der ganzen Stadt.
- Kommt selbst und erzählt anderen von den Veranstaltungen in dieser Woche:
• Mittwoch, 30. Oktober, 16:30 Uhr, Steindamm
8. Mittwochsdemonstration
• Freitag, 1. November, 20:00 Uhr, Hafenstraße 116
Filmclub Moderne Zeiten: „Leben verboten“. Eintritt frei. mehr…
• Freitag, 1. November, 22:00 Uhr, Alstertor 1
Welcome. Nachtasyl für Lampedusa. Soliparty. Eintritt: 5 €. mehr…
- Erzählt euren Freund_innen, Nachbar_innen, Verwandten und Arbeitskolleg_innen von der Demonstration am 2.11. und der Situation von „Lampedusa in Hamburg“.
- Kommt mit selbstgebastelten Schildern oder Transparenten zur bundesweiten Demonstration am Samstag, den 2.11. um 14 Uhr am Hachmannplatz (Hauptbahnhof).
Lampedusa in Hamburg – We are here to stay!
Ein transnationaler Appell an den Hamburger Senat
Lampedusa in Hamburg – Recht zu bleiben!
Appell an den Hamburger Senat, der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ ein Bleiberecht nach dem § 23 Aufenthaltsgesetz oder einer anderen Konstruktion, die eine Gruppenlösung erlaubt, zu geben
„Was Europa nicht versteht, ist, dass die Bewegungen von Migrant_innen nicht von ihm abhängen. Nur die Bedingungen dieser Bewegungen hängen von ihm ab.“ (Coordinamento Migranti)
An Herrn Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg, und an den Hamburger Senat
Seit Frühjahr 2013 leben in Hamburg etwa 300 afrikanische Flüchtlinge, die dem libyschen Bürgerkrieg und dessen Eskalation durch die militärische Intervention der NATO entkommen konnten und dann über Lampedusa nach Italien gelangten. Diese Menschen (in der Mehrheit Männer) waren Arbeitsmigranten in Libyen, wo sie ihren Lebensunterhalt verdienten und Geld nach Hause an ihre Familien oder communities schickten. Als das EU-Programm für Geflüchtete aus dem Libyenkrieg endete, wurden sie auf die Straße gesetzt. Sie bekamen alle eine Anerkennung als Flüchtlinge, aber ihre Papiere erlauben ihnen nur in Italien, zu arbeiten und sich niederzulassen. Wegen der wirtschaftlichen Krise und der fehlenden Unterstützung von Seiten der italienischen Behörden waren sie nicht in der Lage, in Italien ein selbstbestimmtes Leben zu führen und kamen nach Hamburg, um hier ihr Leben wieder aufzubauen, ähnlich wie es andere in verschiedenen europäischen Ländern versuchen. Aber hier werden sie behandelt als hätten sie keine Rechte. In Hamburg fanden sie zunächst Schlafplätze im Winternotprogramm der Stadt. Als diese Plätze geschlossen wurden und sie auf der Straße gestrandet waren, organisierten sie sich als Gruppe und starteten eine Kampagne für ihr Recht zu bleiben. Seitdem haben sie die Unterstützung von vielen Basisgruppen, der Evangelischen Kirche, islamischen Gemeinschaften, der Gewerkschaften ver.di und GEW und von immer mehr Bürger_innen Hamburgs gefunden. Einige von ihnen schlafen in Moscheen, andere an privaten Orten oder immer noch auf der Straße, und die größte Gruppe von etwa 80 Flüchtlingen hat Obdach in der St. Pauli-Kirche bekommen. Sie haben Freund_innen in der Nachbarschaft gefunden: der lokale Fußballverein, FC St. Pauli, unterstützt sie, das Ensemble des bekannten Thalia Theaters las einen neuen Text der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek zur Flüchtlingsfrage zusammen mit Mitgliedern der Gruppe in der Kirche. Ihr Kampf für ein Recht zu bleiben wurde zu einem Kampf gegen die europäische Flüchtlingspolitik der Ausgrenzung. In Hamburg ist er bereits ein Hauptthema in den Medien und in der Alltagskommunikation der Menschen.
Wir akzeptieren nicht, dass Sie, der Bürgermeister und der Senat von Hamburg, behaupten, für diese Flüchtlinge sei Italien zuständig. Wir akzeptieren nicht, dass Sie Kontrollen in rassistischer Form (racial profiling) angeordnet haben, um diese Menschen festzunehmen und abzuschieben, ohne zu berücksichtigen, wie die konkrete Situation von Geflüchteten in Italien ist. Viele deutsche Gerichte haben schon entschieden, dass Italien ebenso wie Griechenland kein Ort ist, an dem heute die Menschenrechte von Flüchtlingen respektiert werden. Sie weigern sich nicht nur, direkt mit diesen Kriegsflüchtlingen und ihren Rechtsanwält_innen zu sprechen, um eine gemeinsame Lösung für sie zu finden, sondern Sie haben auch angekündigt, dass ihnen Plätze im nächsten Winternotprogramm verweigert werden. Dies ist nicht nur unmenschlich, es ist beschämend in einer der reichsten Städte Europas. Jetzt haben Sie sogar begonnen, direkt gegen die Bemühungen der Kirche und ihrer Unterstützer_innen zu handeln, die versuchen, ein eigenes Winternotprogramm für diese Flüchtlinge zu organisieren. Das ist nicht hinnehmbar. Es ist wie eine Kriegserklärung gegen zivilgesellschaftliches Engagement. Einer Gruppe von Menschen alle Rechte und Möglichkeiten zu überleben zu nehmen ist rassistisch. Diese Handlungen können nicht erklärt oder gerechtfertigt werden mit den gesetzlichen Vorschriften der europäischen Flüchtlingspolitik. Ganz im Gegenteil, dies zeigt deutlich, wie dringend diese ausgrenzende Politik und Gesetze abgeschafft werden müssen.
Am 3. Oktober starben mehr als 300 Menschen, nachdem ein Boot mit Hunderten von Migrant_innen vor der Küste der italienischen Insel Lampedusa untergegangen war. Politiker_innen, einschließlich der EU-Kommissarin für Innenpolitik, Cecilia Malmström, riefen EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, „Solidarität zu zeigen sowohl mit Migrant_innen als auch mit Ländern, die steigende Migrationsströme erleben“. Und der Papst nannte das, was vor Lampedusa geschah, „eine Schande“ und rief auf, für die Opfer zu beten. Aber tatsächlich zielt das EU-Grenzregime mit Visabestimmungen, Frontex, hochentwickelten technischen Systemen wie EUROSUR, das nur wenige Tage nach dem tödlichen „Unfall“ verabschiedet wurde, und der Zusammenarbeit von Küstenwachen auf beiden Seiten des Mittelmeers, die sogar auf Bootsflüchtlinge schießen, darauf ab, Flüchtlinge und Migrant_innen daran zu hindern, Europa legal und ohne Lebensgefahr zu erreichen. Sogar die Hilfe für boat-people wird kriminalisiert.
Wenn Migrant_innen es schaffen, in Europa anzukommen, beschränken Abkommen wie Dublin II/III und Schengen die Bewegungsfreiheit von Menschen, die keine EU-Bürger_innen sind. In diesem Jahr sind mehr als 25.000 Migrant_innen per Boot in Italien angekommen, dreimal mehr als im Jahr 2012, aber Länder in der Mitte Europas, insbesondere Deutschland, weigern sich weiterhin, mehr Flüchtlinge aufzunehmen und versuchen, alle, die über Italien kamen, zurück zu schicken, trotz gegenteiliger Gerichtsentscheidungen. Die Bürgermeisterin von Lampedusa drohte, die Särge toter Bootsflüchtlinge an die Regierungen zu schicken, die sich weigern, diese Abkommen zu verändern.
Überall in Europa und jenseits seiner Grenzen kämpfen Flüchtlinge und Migrant_innen gegen diese unmenschliche Politik:
– Geflüchtete aus dem Libyenkrieg im Wüstenlager Choucha an der tunesischen Grenze fordern eine Aufnahme in sicheren Ländern (Resettlement), aber nach vielen Protesten in Tunesien und Europa durften nur 201 Menschen (von etwa einer halben Million, die aus dem Libyenkrieg nach Tunesien flohen), legal nach Deutschland einreisen. Andere europäische Staaten nahmen nur drei (Großbritannien) bzw. einen (Frankreich) Flüchtlinge auf. Ungefähr 400 Menschen sind immer noch im Lager, das offiziell Ende Juni geschlossen wurde, andere organisieren seit sechs Monaten ein Sit-in vor dem UNHCR-Büro in Tunis. – In Marokko stürmten Hunderte von Migrant_innen im September die Zäune der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla und etwa 300 erreichten „europäischen“ Boden. – Auf Lampedusa weigerten sich im Juli etwa 250 neu angekommene Flüchtlinge, ihre Fingerabdrücke abzugeben, um nicht nach Italien zurück geschickt zu werden, wenn sie in andere Länder weiterreisen. – Geflüchtete in Wien, Paris, Brüssel, Amsterdam und anderen Städten haben Kirchen und andere Gebäude besetzt, weil sie auf die Straße gesetzt und mit Abschiebung bedroht wurden. – Und überall in Deutschland kämpfen Tausende von Flüchtlingen gegen Abschiebung und die Verpflichtung, in Lagern zu leben, für Bewegungsfreiheit und Bleiberecht.
Die mehr als 300 afrikanischen Flüchtlinge, die ihre Gruppe „Lampedusa in Hamburg nennen, haben Abschiebung und aktive Ausgrenzung erlebt, seit sie Opfer des Krieges und der NATO-Intervention in Libyen wurden. Sie brauchen jetzt eine Gruppenlösung. Sie, der Bürgermeister und der Hamburger Senat, haben die Möglichkeit, diese Lösung zu gewähren z.B. mit dem § 23 des Aufenthaltsgesetzes. Dies ist eine Gelegenheit, ein positives Beispiel für andere europäische Städte zu geben und darüber hinaus Mut zu machen für eine andere europäische Politik gegenüber Flüchtlingen, die wir alle brauchen. Wir, Menschen, die glauben, dass Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Bewegungsfreiheit, überall respektiert werden müssen, bringen unsere Unterstützung zum Ausdruck für Geflüchtete, die die Schrecken von Krieg und Vertreibung erlebt haben.
Angesichts des Todes all dieser Flüchtlinge im Mittelmeer, verursacht durch die europäische Politik, appellieren wir an den Hamburger Senat: Unterstützen Sie die Überlebenden! Beenden Sie Ihre unmenschliche Politik der Ausgrenzung und Abschiebung! - Beenden Sie die rassistischen Kontrollen und Festnahmen (racial profiling)! - Akzeptieren Sie das Bleiberecht der Menschen von „Lampedusa in Hamburg“! - Unterstützen Sie alle Bemühungen für eine Änderung der europäischen Politik, um Geflüchteten ein Leben in Würde zu garantieren!
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