Wir, die Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“, wollen erneut versuchen, Transparenz in die festgefahrene und eskalierte Situation bezüglich der Zukunft unserer Leben zu bringen.
Zunächst wollen wir daran erinnern, warum wir hier sind. Dies wird mittlerweile oft in den Berichten der Presse und in den Äußerungen der Politiker unterschlagen. Genau daraus leitet sich jedoch unsere Präsenz in Hamburg und unsere Forderung nach unserer Anerkennung ab.
Wir sind alle aus verschiedenen Ländern, zu verschiedenen Zeiten und aus verschiedenen existenziellen Gründen nach Libyen gegangen. Von dem Punkt an finden sich unsere Geschichten und unsere Schicksale zusammen. Wir haben in Libyen gelebt und gearbeitet – auch noch als bereits Kämpfe zwischen Rebellengruppen und Regierungskräften ausgebrochen waren. Mit dem Eintritt der NATO in den Konflikt eskalierte der Krieg im ganzen Land. Unter Verlust von allem, was wir besaßen, den Tod ständig an unserer Seite, erreichten wir Lampedusa.
Wir wurden in verschiedene Regionen in Italien verteilt, untergebracht und minimal versorgt im Rahmen des EU-Programms „Notstand Nordafrika“ (emergenza nordafrica)Wir durchliefen den Prozess der Einzelverfahren und erhielten Aufenthalt und italienische Dokumente, die unseren Schutzstatus garantieren. Aber kurz danach wurde das Notprogramm beendet. Die italienischen Behörden setzten uns im Winter 2012 auf die Straße, erklärten, dass es keine Lebensperspektive dort für uns mehr gäbe. Sie forderten uns auf, in andere Länder der EU zu gehen. Dies ist kurz gefasst der Hintergrund vor dem wir zum Opfer und zum Spielball der europäischen Politik wurden. So kamen wir nach Hamburg, wie andere von uns in andere europäische Länder und Städte kamen.
Wir erhielten von Italien den Rechtsstatus unser Leben neu aufzubauen und die erlittenen Verluste zu überwinden. Jedoch findet bis heute keine praktische Umsetzung statt. Eine gemeinsame Verantwortung sowie bei der Entscheidung zum Eintritt in den Krieg in Libyen wird von den europäischen Regierungen für uns, die Zivilisten, die geschützt werden sollten, verweigert.
Es geht aber um unsere Existenz und die unserer Familien und Angehörigen, die wir bis zum Kriegsausbruch gut und ausreichend versorgen konnten. Es ist für uns kein Machtspiel, sondern es gibt keine andere Möglichkeit für uns, als für die Anerkennung unserer Rechte zu kämpfen.
Diese Auseinandersetzung findet jetzt in Hamburg seit über sechs Monaten statt und sehr viele Menschen unterstützen und bestätigen uns in unserem Anliegen zur Lösung unserer existenziellen Not. Mittlerweile, insbesondere durch die vom Senat initiierte Polizeioperation gegen uns, ist eine Eskalation entstanden, die wir konstruktiv lösen möchten. Wir denken, wir können einen für alle Seiten akzeptablen Weg darlegen.
Vorschlag des Senats
Wir begrüßen es, dass der Senat nach einem halben Jahr der Verweigerung eines direkten Dialogs auf uns zugeht und sehen das als einen möglichen Anfang für eine Lösung. In der jetzigen Form bietet der Vorschlag jedoch keine rechtliche Sicherheit für uns. Um den Vorschlag genau zu verstehen skizzieren und analysieren wir im Folgenden einige Aspekte:
Der Senat bleibt – dies wurde in nachfolgenden Gesprächen zwischen Vertretern der Behörde und des Senats mit unseren Rechtsanwältinnen bestätigt – bei seiner Position, dass die von uns vorgetragenen humanitären Gründe, insbesondere die katastrophale Situation für Flüchtlinge in Italien, nicht zu einer positiven Entscheidung über die Anträge führen werden. Das bedeutet, dass nach wie vor kein politischer Wille besteht, Verantwortung für eine praktische Umsetzung unserer Rechte, zu übernehmen.
Stattdessen soll die Entscheidung im Einzelfall in jahrelangen Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang getroffen werden.
Sämtliche Mitglieder der Gruppe sollen einzeln einen Antrag auf Aufenthaltserteilung stellen und dann eine Duldung erhalten. Es wird ein Sonderschalter bei der Ausländerbehörde eingerichtet und ein Ombudsmann zur Begleitung des Procedere eingesetzt. Zusätzlich wurde gesagt, dass wir während des laufenden Verfahrens vor Abschiebung geschützt seien.
Die Duldung ist keine Aufenthaltserlaubnis, sondern lediglich eine Bestätigung über die Aussetzung der Abschiebung. Sie wird in der Regel für beliebige Zeiträume erteilt und kann jederzeit widerrufen werden.
Zwar wurde in unserem Fall zugesagt, dass die Duldung für die Dauer des gesamten Verfahrens Bestand haben soll. In Gesprächen mit Vertreter/innen der Ausländerbehörde und den uns vertretenden Rechtsanwältinnen wurde aber deutlich, dass die Hamburger Behörden keine Rechtsverbindlichkeit bezüglich des zugesagten Abschiebeschutz garantieren kann.
Die Erteilung einer Duldung bedeutet zudem, dass wir unsere italienischen Dokumente, die die Anerkennung unserer Rechte als Flüchtlinge garantieren, abgeben müssten, dass unsere Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird und dass wir frühestens in einem Jahr eine Arbeitserlaubnis erhalten könnten.
Wir begeben uns in ein langwieriges Verfahren, verlieren unseren durch Italien anerkannten Status und leben für weitere Jahre in Ungewissheit über unser Schicksal.
Dies ist kein Vorschlag, der als fair bezeichnet werden kann. Es ist vielmehr eine Bedrohung für unser Leben. Dazu gehört auch die Drohung mit Fortsetzung der Polizeikontrollen gegen uns, um unsere Zustimmung zu erzwingen.
Ein konstruktives Herangehen, würde bedeuten zu akzeptieren, dass uns in Italien kein angemessener Flüchtlingsschutz garantiert wird, was eine Folge des Versagens des Dublin II-Systems ist, und dieses Versagen nicht auf dem Rücken der hier in Hamburg unmittelbar Betroffenen auszutragen, sondern Verantwortung dafür zu übernehmen und ernsthaft die Möglichkeiten der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu prüfen.
Wir haben immer gesagt, dass wir nicht hier wären, wenn wir in Italien die Chance gehabt hätten, menschenwürdig zu leben und unseren Lebensunterhalt zu bestreiten. Dazu möchten wir auch anmerken, dass wir in der kurzen Zeit, die wir in Hamburg sind, uns mehr integrieren konnten, als es in Italien in fast zwei Jahren möglich war.
Zu unserer Lage und der allgemeinen Diskussion um die europäische Flüchtlingspolitik
Angesichts der intensiven Auseinandersetzung in der Gesellschaft und den politischen Gremien über einen notwendigen Wandel in der europäischen Flüchtlingspolitik könnte Hamburg ein positives Signal aussenden, was nicht nur aus allgemeinen Absichtserklärungen besteht. Auch in den laufenden Koalitionsverhandlungen zur neuen Regierungsbildung in Berlin könnten sich die teilnehmenden Hamburger Politiker hinsichtlich dieses Themas einbringen.
Wir wundern uns, dass uns immer wieder bei Treffen mit Politikern und Parteienvertretern wie zuletzt auch von Mitgliedern der Hamburger SPD Fraktion gesagt wird, dass es dringend Veränderungen in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik braucht und wie wichtig die Arbeit unserer Gruppe ist, und dennoch werden wir weiterhin abgelehnt.
Hinsichtlich der großen Solidarität in aller Vielfältigkeit, dem wachsenden Bewusstsein über die Ursachen, warum wir unseren Kontinent verlassen mussten – von Libyen via Lampedusa, Italien nach Hamburg – und des Respekts gegenüber unserem öffentlichen Widerstand zur Verteidigung unserer Leben, denken wir: es ist an der Zeit, einen konkreten Prozess zur Umsetzung unseres Aufenthaltsrechts zu beginnen. Viele Organisationen, Professionelle, Institutionen und zehntausende weitere Menschen in Hamburg und darüber hinaus, unterstützen unsere Forderung nach Anerkennung gemäß §23. Sozial, politisch und kulturell engagierte Gruppen und Einzelpersonen beherbergen und versorgen uns seit Monaten mit dem Nötigsten.
Unser Vorschlag zur politischen Lösung der eskalierten Situation und unserer desaströsen Lage
Wir wollen hier einen Vorschlag vorstellen, der der Gesprächsbereitschaft des Senats entgegenkommt und praktisch umsetzbar ist:
Wir möchten daran erinnern, dass wir der festen Überzeugung sind, dass Gesetze für Menschen gemacht werden und nicht umgekehrt. Das bestehende europäische System zur Aufnahme von Flüchtlingen verletzt die Menschenrechte, wir als Leidtragende können das bezeugen. An dieser Stelle reicht es nicht aus, wenn nur von Rechtsstaatlichkeit gesprochen wird, die Gesetze jedoch stets zu unseren Ungunsten interpretiert werden. Der § 23 Aufenthaltsgesetz bietet zum Beispiel eine Lösung für unsere existenzielle Not.
Warum sollen wir in Einzelverfahren gezwungen werden? Das nimmt viel Zeit in Anspruch und verursacht hohe Kosten
Seit dem Krieg und der NATO Intervention in Libyen im Frühjahr 2011 sind wir nicht mehr zur Ruhe gekommen. Wir wollen nicht noch mehr Zeit verlieren, bis wir unser Leben neu anfangen können. Wir sind anerkannte und mit italienischen – also europäischen – Dokumenten ausgestattete Flüchtlinge. Wir haben den gesamten Prozess schon durchlaufen.
Warum sollen viele Einzelverfahren durchgeführt werden, wenn wir alle den gleichen Hintergrund und die gleiche Fluchtgeschichte – ausgehend vom Krieg in Libyen, wo wir Zivilisten und Arbeiter waren.
Warum sollen viele Steuergelder für hunderte Einzelverfahren ausgegeben werden?
Genau um dies zu vermeiden, ist vom Gesetzgeber, so verstehen wir die deutsche Gesetzeslogik, der §23 Aufenthaltsrecht geschaffen worden.
Er ermöglicht die Aufenthaltsgewährung für eine spezifische Gruppe, die bestimmte Kriterien erfüllt, wodurch einerseits Rechtssicherheit geschaffen und gleichzeitig zeitaufwändige und kostspielige Einzelverfahren vermieden werden. Wird eine Anordnung nach § 23 AufenthG erlassen, könnte jeder einzelne auf Grundlage dieser Anordnung eine Aufenthaltserlaubnis beantragen und nachweisen, ob er die Kriterien erfüllt. Wir sind bereit, als Grundlage für weitere Gespräche einen von unseren Rechtsanwält/innen ausgearbeiteten Entwurf für eine solche Anordnung vorzulegen und zur Diskussion zu stellen.
Was wir brauchen ist eine Rechtssicherheit, die uns die Möglichkeit gibt, unser Leben neu zu beginnen und die gravierenden Verluste, die wir seit dem Krieg in Libyen erlitten haben, zu überwinden.
Eine Möglichkeit dazu wäre unter Anerkennung des bereits in Italien erteilten Flüchtlingsschutz die Erteilung einer Arbeitserlaubnis für mindestens ein Jahr. Hätten wir eine Arbeitserlaubnis in Hamburg, würden viele von uns bereits arbeiten und Steuern einbringen. Niemand von uns hat das Interesse, von staatlichen Geldern abhängig zu sein und wir können uns auch vorstellen, bei Anwendung des § 23 auf Sozialleistungen zu verzichten. In diesem Fall wäre es vorstellbar und möglich, dass aus dem Kreis der breiten Solidaritäts- und Unterstützungsbewegung die rechtlich vorgeschriebene Verpflichtungserklärung dazu abgeben würde.
Sechs Monate haben uns die Hände und Herzen der Menschen gestützt mit der Hoffnung und dem Wunsch, dass wir bleiben, hier leben können. Besonders in St. Pauli aber auch an anderen Orten der Stadt haben wir und die Nachbarschaften uns schon gegenseitig integriert. Eine vereinfachtes Verfahren und eine Arbeitserlaubnis würden uns und allen Menschen, die uns tagtäglich und unermüdlich unterstützen, entgegenkommen und dies entspräche auch den europäischen Menschenrechtskonventionen.
Bildung einer Kommission zur konkreten Ausarbeitung und Umsetzung einer praktikablen Lösung
Da jedoch bisher dieser unserer Auffassung nach beste Lösungsansatz so vehement abgelehnt wird und mittlerweile eine starke Polarisierung zwischen dem Senat und breiten Teilen der Zivilgesellschaft entstanden ist, schlagen wir die Bildung einer Kommission vor. Eine solche Kommission, in der auch die Seite der zahlreichen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Institutionen, die uns seit sechs Monaten in unserer Notlage helfen, einbezogen wäre könnte die konkrete Ausarbeitung des weiteren Vorgehens realisieren.
Zu den Polizeikontrollen gegen uns und die Forderung nach Angabe unsere Identitäten gegenüber der Behörde
Zu dem unhaltbaren Vorwurf des Senats wir würden unsere Identitäten verstecken, haben wir uns bereits in unserem Offenen Brief vom 16.10.2013 an den Senat geäußert:
- Wir sind Inhaber gültiger Ausweisdokumente – was auch die gesamte Polizeioperation rechtlich in Frage stellt.
- Wir verdecken nicht unsere Identität, wir sind eine der präsentesten und öffentlichsten Gruppen von Menschen in dieser Stadt.
- Wir stellen keine Asylanträge, weil wir das Procedere bereits in Italien durchlaufen haben. Weshalb ein erneutes Verfahren nicht nur unnötig ist, es macht auch rechtlich keinen Sinn.
Auch wenn es aus unserer Sicht unabdingbar ist, in der inhaltlichen Diskussion weiterzukommen, bevor wir eine Liste unserer Namen einreichen – die bisherige Intention des Senats verstehen wir lediglich als Perspektive zur Abschiebung – wollen wir auch zu diesem Punkt einen Vorschlag unterbreiten. Wir werden unsere Dokumente und Ausweispapiere im Rahmen der Arbeit der von uns vorgeschlagenen Kommission vorlegen. Uns ist bewusst, dass dieser Schritt uns in größere Gefahr einer Abschiebung nach Italien bringt. Jedoch wollen wir die durch die Polizeikontrollen der vergangenen Wochen eskalierte und festgefahrene Situation entschärfen und stehen weiter für einen konstruktiven Prozess ein. Wir stellen aber keine Anträge gemäß des Vorschlags des Senats und wir lassen auch nicht unsere gültigen Dokumente einziehen, aus oben hinreichend erklärten Gründen.
Während einige von uns unter dem übermächtigen Druck und Drohungen langsam zerbrechen, werden wir weiter für unsere Rechte als Gruppe kämpfen – zusammen mit den vielen Menschen, die genug haben von den leeren Worten, der geheuchelten Trauer und der gespielten Humanität. Trotz einer drohenden erneuten Vertreibung wiederholen wir „We are here to stay“ als Gruppe der libyschen Kriegsflüchtlinge „Lampedusa in Hamburg“. Jeder von uns sehnt sich nach Ruhe, nach einer Normalisierung, nach etwas Stabilität aber wir stützen uns gegenseitig und mit großer Herzlichkeit und Aufrichtigkeit aus der Hamburger Bevölkerung wie der Ruf auf St.Pauli „u never walk alone“.
Hamburg, 28.10.2013
Kontakt:
Der Senat kann über die obengenannten Telefonnummern unserer Sprecher den direkten Kontakt mit uns aufnehmen. Schriftstücke können an das Rechtsanwaltsbüro Kanzlei 49 gesandt werden: Budapester Str. 49, 20359 Hamburg, Tel 040-4396001, Fax: 040-4393183