Seit fast einem Jahr kämpfen wir in Hamburg für das Recht auf ein menschenwürdiges Leben nach unserer Flucht vor dem NATO-Krieg in Libyen. Seit drei Jahren ist uns jede Möglichkeit verwehrt, zu arbeiten und uns selbst und unsere Familien zu versorgen. Wir blicken zurück auf Jahre des Schwebezustands, zwischen der Hoffnung auf ein neues Leben und der kalten Realität der europäischen Gesetzgebung gegen Flüchtlinge und Migrant_innen, die uns kriminalisiert, zu einem Problem erklärt und das Existenzrecht nimmt.
In Hamburg erlebten wir ein Jahr des Kampfes, zwischen überwältigender Solidarität der Menschen der Stadt und der Ignoranz seitens der Regierenden. Die politisch Verantwortlichen versuchen, die humanitäre Krise in ihrer Stadt einfach auszusitzen und der Öffentlichkeit zu erklären, daß sich das Problem von selbst erledigt habe. Gleichzeitig haben sich regierende Politiker mehrmals bei uns für unseren Beitrag zur kontroversen, lebendigen Diskussion in ihrer offenen Stadt und bunten Zivilgesellschaft bedankt! Dass wir diesen Beitrag als Entrechtete unter Einsatz unserer Existenz leisten müssen, weil uns nichts anderes übrigbleibt, kann ihrem Zynismus keinen Abbruch tun.
Nur durch die praktische Hilfe der Unterstützer_innen des “Solidarischen Winternotprogramms” konnten wir den Winter überleben. Doch diese Solidarität ist auch begrenzt – die privaten Initiativen, Arbeiter_innen, Studierenden, Familien, die an Stelle des untätigen Staates die schlimmste Not linderten, haben keine unendlichen finanziellen Mittel. In gegenseitigem Respekt haben wir zu Beginn vereinbart, dass das “Solidarische Winternotprogramm” nur temporär sein kann und im April enden würde. Damit werden wir Ende diesen Monats wieder mit Nichts auf der Straße sitzen – genau wie vor einem Jahr.
Wir sind unseren Unterstützer_innen sehr dankbar, doch wollen und können wir nicht ewig von ihren Almosen leben. Wir brauchen ein Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis. Doch es gibt keine Entwicklung bei den zuständigen Behörden oder dem Hamburger Senat.
Es wird auf unsere Kosten auf Zeit gespielt. Wir haben das Gefühl, der Senat hofft, dass wir langsam zu Grunde gehen, den Mut verlieren und uns nicht mehr wehren. Doch wir vergessen nicht wer wir sind und weshalb wir hier in Europa gestrandet sind. Wir sind der lebende Beweis der Folgen des NATO-Krieges in Libyen, eines als “humanitäre” Intervention getarnten Angriffs auf unseren Kontinent Afrika. Wir sind auch der lebende Beweis dafür, dass Europa sein Versprechen vor der ganzen Welt bricht: In der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist zwar verankert, daß sie sich „auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität“ gründet (Präambel). Die Toten von Lampedusa und die Überlebenden der europäischen Flüchtlingspolitik erzählen von einem ganz anderen Europa, einem Europa von unten.
Wir leisten jeden Tag Widerstand, genauso wie zahllose andere Geflüchtete und Migrant_innen in ganz Europa. Wir sind hier und müssen unsere Geschichten erzählen. Unser Kampf wird weitergehen und wir rufen Alle dazu auf, uns zu unterstützen, egal wie lange es dauert. Das hier ist ein gemeinsamer Kampf und alle müssen einen Beitrag leisten um die Welt solidarischer und gerechter zu machen.
Gruppe „Lampedusa in Hamburg“, 19. März 2014
Zur Erinnerung:
Der 19. März – Jahrestag des „modernen“ Kriegs :
Vor drei Jahren, am 19. März 2011, begann die NATO-Bombadierung Libyens.
Vor 11 Jahren, am 19. März 2003, begann auch die völkerrechtswidrige Invasion des Irak durch die „Koalition der Willigen“.